Donnerstag, 19. Februar 2009

Finanzkrise Zur Kasse, bitte!

Frankfurter Rundschau Online / 18. Februar 2009

Quelle: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/wirtschaft/aktuell/?em_cnt=1677090&em_cnt_page=1

Es ist was faul in aller Welt. Banker und Top-Manager haben die globale Wirtschaft an die Wand gefahren, doch die betrogene Masse muckt nicht auf. Dabei ist es längst an der Zeit, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Ein Pamphlet des Schriftstellers Peter Schneider.

Henry Paulson, Finanzminister der abgewählten Regierung Bush, trat im Juni 2006 als Vorstandsvorsitzender der Investmentbank Goldman/Sachs zurück. Der Aufsichtsrat der Bank gewährte ihm in Anerkennung seiner "Führerschaft", die nur fünf Monate gedauert hatte, einen Bonus von 18,7 Millionen Dollar und das Privileg, seinen in sieben Jahren Bankzugehörigkeit angesammelten Besitz von Goldman/Sachs-Aktien vor der festgesetzten Sperrfrist zu verkaufen, damit er seine Berufung zum Finanzminister wahrnehmen könne. Es handelte sich um ein Paket von 3,23 Millionen Aktien im Wert von 486 Millionen Dollar.

Ich stelle mir die folgende Szene vor. Paulson, potenziell um eine halbe Milliarde reicher, trifft in der Bar an der Ecke den Engel seines Gewissens - in Gestalt eines Angestellten. Der Mann ist ihm schon öfter wegen seiner schlechten Zähne und seiner unpassenden Bemerkungen aufgefallen.

Auch diesmal lässt er es an der gebotenen Diskretion fehlen: "Na Henry, was ist das für ein Gefühl, wenn man nach fünf Monaten Arbeit mit knapp 20 Millionen nach Hause geht?" - "Ich habe schon schlechtere Tage erlebt." - "Ich möchte nur wissen: Hast du das Gefühl, dass du, was du hier in sieben Jahren verdient hast, auch wirklich verdienst?" - "Was wollen Sie? Ich habe den Gewinn der Firma allein in diesem Halbjahr verdoppelt. Und im Unterschied zu Ihnen all die Jahre hart gearbeitet, sechzehn Stunden am Tag! Harte Arbeit - wissen Sie überhaupt, was das ist?"

Wer wird Milliardär?

Vielleicht wird eine spätere Generation auf die beiden vergangenen Jahrzehnte mit demselben ungläubigen Staunen zurückblicken, mit dem wir die Exzesse des Imperium Romanum betrachten. Warum habt ihr euch das gefallen lassen?, werden sie uns fragen. Wie konntet ihr es für normal oder akzeptabel halten, dass irgendein Leiter einer Bank in sieben Jahren eine halbe Milliarde verdient?

Wofür denn, was hatte er zu bieten? Er hat weder das Internet noch das Wasser-betriebene Auto der Zukunft erfunden. Er hat mit dem Geld anderer Leute gespielt, hat aus Luft Geld gemacht und sich mit seinen Boni rechtzeitig davongeschlichen, bevor sich das Geld wieder in Luft auflöste.

Die Geldzauberer aus New York, London und Frankfurt haben der Welt einen Lebensstil vorgeführt, wie man ihn bisher allenfalls aus Scheichtümern kannte. Mit ihren Monstergehältern, ihren Monsteryachten und Monsterautos haben sie die Wünsche und Phantasien der letzten beiden Jahrzehnte geprägt. Sie überboten sich darin, die höchsten und auffälligsten Bürotürme von den teuersten Architekten der Welt errichten zu lassen, sie setzten Villen mit dem Längenmaß von Kirchenschiffen an die Küsten, sie kauften ihren Frauen eine Stradivari zum Geburtstag und einen Beuys zum Hochzeitstag.

Inzwischen hat der Casino-Kapitalismus die Welt in die größte Krise seit 1929 gestürzt. Aber noch im Angesicht der Katastrophe haben die Banken ihre Bosse mit phantastischen Summen belohnt. Noch im Krisenjahr 2008 sind rund 20 Milliarden Dollar Boni an amerikanische Bankvorstände ausgeschüttet worden. "Sie haben gerade die Weltwirtschaft ruiniert", rief ein Kommentator der New York Times den Bankrotteuren nach, "dies ist Ihr Lohn."

Merkwürdig, ja unheimlich ist, dass das ungeheuerliche Bereicherungs- und Enteignungsspiel bei den Betrogenen bisher kaum eine sichtbare Empörung hervorgerufen hat. Es gab keinen Sturm auf eine Bank, keine anhaltenden Demonstrationen in der Wall Street, keine Besetzung der Börsen.

Merkwürdig ist auch, dass die Verursacher und Profiteure des Zusammenbruchs bisher kein Wort zu ihrer Verteidigung gesagt haben. Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank und Prophet der 25-Prozent-Rendite, fand sich zum Jahreswechsel zu einem Allerweltsgeständnis bereit: "Alle haben Fehler gemacht." Wer alle? Alle in Ackermanns Gehaltsklasse, alle Politiker, alle Käufer von Zertifikaten, alle Steuerzahler, die noch in drei Generationen für die Fehler "aller" werden zahlen müssen?

Die Wehrlosigkeit der Bürger muss wohl auf zwei Faktoren zurückgeführt werden: auf die Anonymität der Regisseure der Katastrophe - es gibt kaum ein merkfähiges Gesicht in der internationalen Finanzwelt; und auf die Undurchschaubarkeit ihrer finanziellen Operationen, die sie vor juristischen Konsequenzen bewahrt.

Paul Krugman, aktueller Nobelpreisträger für Ökonomie, macht eine andere Rechnung auf: Das Honorierungssystem in der Wall Street, argumentiert er in seiner Kolumne in der New York Times, belohne verschwenderisch den Schein von Profit, selbst dann noch, wenn dieser Schein sich endgültig als Illusion erwiesen habe: "Nehmen wir einen Manager, der das Geld seines Klienten in Profit versprechende, aber hochriskante Papiere wie Immobilien-gestützte Securities investiert. So lange sich die Immobilien-Blase weiter aufbläht, macht sein Klient riesige Profite und er, der Manager, erfreut sich gewaltiger Boni. Wenn die Blase platzt und sich seine Investitionen als giftiger Müll erweisen, verliert sein Klient riesig, er selbst jedoch behält seine Boni."

Warum eigentlich, so lässt sich Krugmans Argument weiterführen, dürfen die Vorstände, die ihre Banken an die Wand gefahren haben, ihre Boni behalten? Den Buchstaben ihrer Verträge nach sind sie im Recht. Denn in aller Regel verdanken sie ihre unglaublichen "Gutscheine" jeweils dem Ergebnis weniger Monate. Nimmt man einen längeren Zeitraum in den Blick, ergibt sich, dass sie mit eben der Strategie, die ihren Banken, ihren Kunden und ihnen selbst den höchstmöglichen Profit in der kürzesten Zeit bescherte, die Weltwirtschaft in den Ruin geführt haben. Sie haben ihre Boni nicht verdient und sollten sie zurückzahlen.

Der einzige Satz, der in den letzten Wochen und Monaten von den Gurus des Scheingewinns zu hören war, war dieser: Die neuen Finanzprodukte seien so kompliziert, dass man sie kaum habe verstehen können.

Er hätte niemals in seinem Leben so etwas wie ein Zertifikat gekauft, versicherte der vormalige Deutsche-Bank -Chef Hilmar Kopper in einer Talkshow mit Frank Plasberg. Plasberg ließ eine Information einblenden, aus der hervorging, dass 40 Prozent aller in Deutschland verkauften Zertifikate von der Deutschen Bank unter der Ägide von Hilmar Kopper verkauft worden waren. Leider fragte der Journalist nicht nach, ob Kopper seine eben bekundete Zweifel an Zertifikaten auch an seine Filialleiter und Anlageberater weitergegeben habe. Hatte er ihnen etwa davon abgeraten, Zertifikate zu verkaufen?

Was sollen wir von einem Bankchef bzw. Aufsichtsrat halten, der ein Finanzprodukt, das er für unseriös hält, in riesigen Mengen in den Markt drücken lässt und sich nachträglich bei Plasberg mit der "Gier der Kunden" herausredet? Sicher, auch die Kunden waren gierig; sie hätten durch die hohen Zinsversprechen der Zertifikate gewarnt sein können. Aber wer ist hier der ärgere Sünder: der Bankier, der ein von ihm für unseriös gehaltenes Papier verkauft und reich an ihm wird, oder der Kunde, der es sich aufschwatzen lässt?

Halten wir fest: Ein Bankier, der etwas verkauft, das er nicht versteht oder für unseriös hält, ist entweder inkompetent oder ein Betrüger. So oder so ist er das Geld nicht wert, das er bekommt.

Das Empörendste an dem Desaster ist, dass die für die Finanzkrise Verantwortlichen für ihr Versagen nicht haften. Jeder kleine oder große Familienunternehmer, ob er nun Schiffsschrauben, Software oder Bücher verkauft, wird auf dem Markt belohnt oder bestraft. Wenn er eine Fehlentscheidung trifft, haftet er - notfalls persönlich. Die Manager weltweit operierender Banken jedoch sind solcher irdischer Sorgen enthoben. Sie spielen mit Geld, das nicht ihres ist, und gewinnen phantastische Reichtümer, gleichgültig ob ihr Spiel gut oder schlecht ausgeht. Im für sie ungünstigsten Fall werden sie mit einer sechsstelligen Abfindung - dem so genannten Goldenen Fallschirm - verabschiedet.

Etwas stimmt an den Regeln des Spiels nicht, sagt sich der Laie. Welchen Anreiz haben Manager eigentlich, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn sie an ihren Fehlentscheidungen reich werden?

Viele Glaubenssätze der Markt-Radikalen sind über Nacht wertlos geworden. Einer dieser Sätze besagt, dass Gier, obwohl von allen Religionen als sündhaft gebrandmarkt, eine der nützlichsten menschlichen Eigenschaften sei. Inzwischen wird auch unter Bankern diskutiert, dass enorme Boni für kurzfristig erzielte Gewinne ein Nach-mir-die-Sintflut-Denken befördert.

Lachhafte Ideologen

Auch ein anderer Satz aus dem Katechismus der Finanzgurus ruft im Licht der Finanzkrise eher Gelächter hervor: "Märkte korrigieren sich selbst." Mit ideologischem Starrsinn hatte die Bush-Regierung die weltweit vernetzte Investment Bank Lehman Brothers bankrott gehen lassen und damit den Zusammenbruch der Finanzmärkte entschieden beschleunigt.

Einzig Alan Greenspan, vormaliger Chef der US-Notenbank, hat seinen Irrtum halbherzig eingestanden. Er habe immer auf die Selbstregulierung der Märkte vertraut, sagte er, aber sich einfach nicht vorstellen können, dass die großen Banken des Landes einer Strategie folgten, die zu ihrer Selbstzerstörung führte.

Der Casino-Kapitalismus ist spektakulär gescheitert, der Kapitalismus wird neu definiert werden müssen. Aber die Bürger müssen nicht auf neue Gesetze und Regelungen warten. Was bisher legal war und immer noch ist, war und ist deswegen noch nicht gerechtfertigt. Eine zivile Gesellschaft kann gemeingefährliche Verhaltensweisen einer Elite, die sie aus Ignoranz, Leichtsinn oder Zynismus geduldet hat, ächten. Diese Elite agiert nicht im luftleeren Raum; sie ist beruflich und psychisch auf die Anerkennung der Gesellschaft angewiesen.

Sobald sie den Widerstand und die Empörung der Bürger spüren, werden sie es vielleicht den Vorstandsvorsitzenden der drei großen US-Autokonzerne nachtun. Zur Erinnerung: Die waren zur ersten gemeinsamen Kongressanhörung mit ihren Privatjets von Detroit nach Washington geflogen, wohlgemerkt, jeder mit seinem eigenen Jet. Und dann forderten sie Milliarden vom Staat, versuchten gar, ihn zu erpressen.

Da aber saß ein Kongressabgeordneter, der den Herren die Leviten las. Ob sie noch bei Sinnen seien, einerseits Milliarden zu verlangen, andererseits mit ihren Jets Millionen zu verblasen?

Zu ihrem nächsten Bittgang nach Washington erschienen die Auto-Bosse dann demonstrativ reuig mit Elektroautos. Und sie versicherten, demonstrativ demütig, dass sie ihre Dienste - falls sie noch erwünscht seien - auch für einen Dollar jährlich zur Verfügung stellen würden.


Der Autor
Peter Schneider, geboren 1940 in Lübeck, kennt sich mit Ideologien und Utopien und deren Scheitern aus. In seinem Roman "Lenz" widmete er sich bereits 1973 der enttäuschten Linken, ihren dogmatischen Heilsversprechen und ihrer moralischen Selbstgerechtigkeit.

Ehemals Vordenker der 68er, hat sich Schneider in zahlreichen Werken immer wieder mit den Verdiensten und Irrtümern der Studentenbewegung beschäftigt. 2008 erschien seine autobiografische Rückschau "Rebellion und Wahn – mein 68", Kiepenheuer & Witsch.

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